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Medienpolitik | 12. Juni 2015
Falsch verstandene Objektivität

In Deutschland gilt das Gesetz, dass Journalismus immer objektiv sein muss. Eine eigene Meinung in der Berichterstattung wird nicht zugebilligt. Kein anderer Satz wird daher in Journalistenschulen öfter gepredigt als der des ehemaligen Tagesthemen-Moderators Hanns Joachim Friedrichs: »Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemeinmacht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten.«

Doch in der heutigen Zeit scheint dieses eiserne Dogma nicht mehr uneingeschränkt zu gelten. Auslöser der letzten Debatte hierüber war der amerikanische Journalist Glenn Greenwald, der durch seine Enthüllungen rund um den NSA-Abhörskandal weltweit Ansehen erlangte. Greenwald hatte vom Whistleblower Edward Snowden exklusive Dokumente erhalten, die das Ausmaß der vom amerikanischen Auslandsgeheimdienst betriebenen Internetüberwachung zeigen. Aber Greenwald schlüpft dabei nicht nur in die Rolle des klassischen Journalisten, der die von Snowden übergebenen Dokumente aufbereitet und der Öffentlichkeit bekannt macht. Er selbst bezeichnet sich ausdrücklich als Aktivist. Und so war der Auslöser für eine mediale Debatte über die Objektivität im Journalismus dann auch eine von Greenwald gehaltene Eröffnungsrede auf dem 30. Chaos Communication Congress (30C3) in Hamburg, der vom Chaos Computer Club (CCC) veranstaltet wurde.

Bergpredigt an die Hacker

Die beiden »Zeit«-Journalisten Kai Biermann und Patrick Beuth warfen Greenwald anschließend vor, dass er sich in seiner Keynote mit den Hackern gemeingemacht habe. Er habe mehrmals von »wir« gesprochen, wo ein objektiver Journalist doch besser »ihr« gesagt hätte. Die Rede habe gewirkt wie eine Predigt an seine Jünger. Es sei klar geworden, dass es Greenwald in erster Linie nicht darum gehe, den Überwachungsskandal aufzuklären, sondern er wolle eine Bewegung anführen. Damit habe er eindeutig journalistische Grenzen überschritten.

Nur wenig später meldete sich Greenwald selbst auf Twitter in der Debatte zu Wort. Er fragte schlicht, ob Journalisten im Zeitalter der Überwachung überhaupt neutral sein könnten und ob es klug sei, die eigene Meinung zu verbergen. Nach seiner Ansicht könne es keine Unterscheidung geben, ob jemand nur Journalist oder auch Aktivist sei. Diejenigen die eine strikte Trennung forderten, würden Standards verlangen, die sie selbst gar nicht einhalten könnten.

Kai Biermann hält dem zurecht entgegen, dass es für den Leser einen Unterschied mache, ob ein Journalist durch Aufbereitung von Fakten informiere oder aber versuche, andere von der eigenen Meinung zu überzeugen. Und genauso sollte der von Hanns Joachim Friedrichs stammende Satz auch verstanden werden: Journalisten dürfen Stellung beziehen, aber sie müssen klarstellen, wenn dies geschieht. Eine vollkommen objektive Berichterstattung mag es nicht geben, aber Ziel journalistischer Arbeit sollte zuallererst sein, dass sich der Leser durch die aufgezeigten Fakten eine eigene Meinung bilden kann. Der Leser erwartet zurecht keine Missionierung oder Bevormundung, wenn er sich über ein Thema informieren will.

Objektive Darstellung von Fakten kann den Leser überzeugen

Der Medienjournalist Stefan Niggemeier verweist zudem darauf, dass eine Berichterstattung selbst dann objektiv sein kann, wenn der Autor eine eigene Meinung zum Thema hat und diese dem Leser auch bekannt ist. So habe er vor vielen Jahren das »Bild-Blog« gegründet. Darin werden die nach Ansicht Niggemeiers »oft niederträchtigen Methoden« des Boulevardblatts dokumentiert. Aber diese Dokumentation orientiere sich an Fakten und nicht an bloßen Meinungsbekundungen. Gerade deshalb sei es möglich, den Leser vom eigenen Standpunkt zu überzeugen.

Nicht alle Medienmacher stimmen dieser These zu. Als Niggemeier etwa noch für den »Spiegel« schrieb, waren Texte über das Leistungsschutzrecht für ihn tabu, weil er zuvor öffentlich klar Stellung dagegen bezogen hatte. Nach Ansicht seiner ehemaligen Kollegen disqualifizierte ihn dies dafür, über das Thema im Nachrichtenmagazin zu schreiben, weil eine objektive Berichterstattung nicht mehr möglich sei. Niggemeier hingegen glaubt, dass gerade eine objektive und vollständige Darstellung aller Fakten zum Leistungsschutzrecht der beste Weg sei, es zu bekämpfen. Er geht davon aus, dass ein Großteil seiner Leser dann selbst zu dem Schluss käme, dass das Gesetz falsch sei.

Friedrichs wollte Distanz wahren

Hanns Joachim Friedrichs hat sich übrigens selbst nie an sein eigenes Dogma gehalten, sondern häufig Stellung bezogen. In einem seiner letzten Interviews vor seinem Tod erklärte er, dass sogar seine Tierfilme stets eine politische Botschaft beinhaltet hätten. Dem Zuschauer würde darin vor Augen geführt, dass der Mensch – wenn er so weiter mache wie bisher – »auch das noch kaputt« kriege. Die Tierdokumentationen seien in erster Linie eine grüne Botschaft.

Überhaupt lohnt es sich, den Kontext des von Friedrichs geäußerten Satzes noch einmal näher zu betrachten. Friedrichs wollte nämlich in erster Linie nicht ausdrücken, dass ein Journalist keine eigene Meinung haben oder vertreten dürfe. Vielmehr ging es darum, wie er es gelernt habe, auch die grausamsten Nachrichtenmeldungen zu verlesen, ohne dabei mit der Wimper zu zucken. Und nur in diesem Zusammenhang äußert er, dass es wichtig sei, dass ein Journalist sich auch nicht mit einer guten Sache gemeinmache. Nur so könne die notwendige Distanz gewahrt werden und der Leser oder Zuschauer objektiv und emotionslos informiert werden. Dies sei der Weg um Vertrauen zu gewinnen.

Fehlende Objektivität durch mangelnde Recherche

Tatsächlich ist die Gefahr heute auch nicht mehr, dass ein Journalist versucht, die eigene Meinung als Fakt zu verkaufen. Die Leser sind schlau genug, einen solchen Versuch zu durchschauen. Vielmehr besteht die Gefahr, dass durch mangelnde Recherche die Objektivität leidet. Wenn Journalisten nur noch blind Agenturmeldungen abschreiben, ohne sie zuvor zu überprüfen, machen sie sich womöglich mit einer Sache gemein, ohne es überhaupt zu bemerken. Hätten Journalisten etwa die Gefahren der Schweinegrippe objektiv recherchiert, wären sie nicht auf die Kampagne der Pharmaindustrie hereingefallen. Wenn Journalisten daher nicht ungewollt zu Aktivisten werden wollen, liegt es an ihnen, auch vermeintliches Allgemeinwissen zu verifizieren, bevor sie eine Geschichte publizieren. Eine eigentliche Selbstverständlichkeit, die auch ganz ohne journalistisches Gesetz oder Dogma beachtet werden sollte.