News

Branchen-News | 08. Mai 2015
Aktueller Trend im Journalismus: Tweets veröffentlichen

Vor drei Jahren kapitulierte Frank Schmiechen vor dem Internet. Am 28. Februar 2012 veröffentlichte der damalige stellvertretende Chefredakteur der »Welt Kompakt« einen Tweet, in dem er schrieb: »Es häufen sich die Beschwerden von Twitterern, die nicht gedruckt werden wollen. Deshalb verzichten wir ab sofort auf #Titelseiten-Tweets.«

Was war geschehen? Über ein Jahr lang wurden in der Tageszeitung Twitter-Meldungen abgedruckt, die die Redaktion als besonders interessant für die Leser einstufte. Am 1. März war damit plötzlich Schluss. Zu viele hatten sich offenbar beschwert und wollten nicht mehr, dass ihre Zitate in der Zeitung auftauchen.

Geteilte Reaktionen der Leser

Die Reaktionen im Internet über die Einstellung der Rubrik waren geteilt. Während einige den Schritt begrüßten und mit dem Urheberrecht begründeten, forderten andere, dass die Zeitung die Aktion fortsetzen solle. Der Journalist und Moderator Richard Gutjahr etwa sagte, es liege in der Natur von Twitter, Tweets zu vervielfältigen. Hierzu diene bereits die integrierte Retweet-Funktion. Als weiteres Argument wurde zudem oft angeführt, dass »das Internet« öffentlich sei. Daher müsse jeder damit rechnen, dass Tweets – auch in gedruckter Form – weiterverbreitet würden. Zudem äußerten einige Blogger, dass sie sich durchaus gefreut hätten, als ihre Status-Meldungen abgedruckt wurden.

Netzaktivisten wiederum holten zum Rundumschlag aus und stellten einen Vergleich mit dem damals noch in Planung befindlichen Leistungsschutzrecht her: Wenn schon der Axel Springer Verlag, zu dem auch »Welt Kompakt« gehört, einen Vergütungsanspruch gegen Suchmaschinenbetreiber fordere, müssten im Gegenzug auch die Twitter-User finanziell entschädigt werden.

Exkurs: Verstößt das Abdrucken von Tweets gegen deutsches Urheberrecht?

Die Chefredaktion der »Welt Kompakt« argumentierte ebenfalls, der Abdruck scheitere an rechtlichen Bedenken. Tatsächlich ist die Rechtslage in Deutschland beim Einbinden und Publizieren von Tweets kompliziert und noch nicht vollständig geklärt.

Zwar lässt sich Twitter in seinen Nutzungsbedingungen vom Urheber das Recht einräumen, die Tweets zu veröffentlichen und auch mit Partnern zu teilen. Doch ist nach Meinung von Urheberrechtlern bereits umstritten, ob eine solche Lizenzgewährung in allgemeinen Geschäftsbedingungen nach deutschem Recht überhaupt möglich ist. Der Freisinger Fachanwalt für IT-Recht und gewerblichen Rechtsschutz Thomas Stadler etwa schreibt in seinem Blog, dass die entsprechende Klausel unwirksam sein könnte, weil sie überraschend sei.

Zudem stellt sich die Frage, ob Tweets überhaupt urheberrechtlich geschützt sind. Schließlich bedarf es hierzu einer gewissen Schöpfungshöhe, die mitunter bei 140 Zeichen nur schwer zu erreichen ist. Zwar haben Gerichte in der Vergangenheit auch bei sehr kurzen Slogans einen Urheberschutz bejaht, doch dürften die meisten Tweets lediglich durchaus banale Texte beinhalten.

Hinzu kommt: Selbst wenn die notwendige Schöpfungshöhe vorliegt, greifen möglicherweise sogenannte Schrankenbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes und erlauben eine Vervielfältigung und Nutzung der Tweets. So enthalten beispielsweise die §§ 50, 51 UrhG die Möglichkeit des Zitierens und der Verbreitung von aktuellen Ereignissen in der Tagespresse.

Journalismus 2.0: Und immer die Meinung der Leser berichten

Dies alles zeigt, mit welchen rechtlichen Risiken ein Angebote wie die »Tagestweets« der »Welt Kompakt« verbunden ist. Die umstrittene rechtliche Beurteilung hat andere Verlage freilich nicht daran gehindert, weiter fleißig Tweets zu veröffentlichen. Mittlerweile scheint es fast so, als gäbe es einen sogenannten »Twitter-Journalismus«. Zu beinahe jedem Thema wird ausführlich die »Meinung des Netzes« geschildert, ganz egal, ob es sich um politische Ereignisse oder den neuesten Klatsch und Tratsch handelt.

Im Mittelpunkt der Berichterstattung steht dabei nicht das eigentliche Ereignis, sondern wie die Menschen darauf reagieren. Zwar wurden auch schon vor den Zeiten des Internets, Menschen befragt und Meinungen eingeholt. Neu ist aber, dass die Redaktionen inzwischen auf einen praktisch unbegrenzt großen Pool an Lesermeinungen zurückgreifen können. Tools, wie beispielsweise »Storyfy«, erlauben es darüber hinaus, mit den Tweets eine kleine Geschichte zu erzählen.

So entstehen völlig neue Formate, bei denen der Leser im Zentrum steht und aktiv an der Berichterstattung beteiligt ist. Während Lesermeinungen bisher vor allem im Lokaljournalismus gang und gäbe waren, sind sie nunmehr zu beinahe jedem Thema zu finden. Hierdurch bietet sich die große Chance zu noch ausführlicheren Reportagen und Artikeln. Also genau das, was viele Medienkritiker bei den Online-Medien heute oft vermissen: Tiefgründigkeit und gute Recherche. Diese Chance sollte genutzt werden.